Am 9. Januar 2024 fand erneut eine Veranstaltung im Rahmen der Ringvorlesung „Automatisierte Systeme“ in hybrider Form statt. Hierzu hatten der Lehrstuhl für Zivilrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht (Prof. Dr. Buck-Heeb) und der Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Zivil- und Handelsrecht (Prof. Dr. Dr. h.c. Oppermann) zusammen mit dem Interdisziplinären Institut für Automatisierte Systeme e.V. (RifaS) eingeladen.
Dieses Mal konnte Herr Dr. Björn Christian Becker, Akademischer Rat a.Z. und Habilitand am Lehrstuhl für globales Wirtschaftsrecht, internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Bürgerliches Recht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Referent gewonnen werden. Herr Dr. Becker befasste sich thematisch mit einem als „Killer Acquisitions“ umschriebenen Phänomen, dem Digital Markets Act der EU (Verordnung (EU) 2022/1925) und KI-getriebenen Technologien bei der Identifikation solcher sog. Killer Acquisitions. Bei solchen „Killer Acquisitions“ geht es um das „Eliminieren“ (potenzieller) Wettbewerber durch Aufkauf des Unternehmens und Einstellung der Innovationen des Zielunternehmens, um künftigen Wettbewerb zuvorzukommen.
Nach einer Einführung ging der Referent auf die wettbewerbsrechtliche Wirkungen von Killer Acquisitions ein. Angeknüpft wurde zunächst an eine den Pharmasektor betreffende Studien aus dem Jahr 2020, die offenlegt, dass marktstarke Unternehmen systematisch kleinere Unternehmen und Start-ups aufkaufen und sodann das Geschäft des aufgekauften Unternehmens einstellen. Ähnliche Aufkaufstrategien sind auch in anderen Sektoren, insbesondere auf digitalen Märkten zu beobachten.
Das beschriebene Phänomen lässt sich mit der kartellrechtlichen Fusionskontrolle nur schwer erfassen, da solche Killer Acquisitions oft in einer Phase realisiert werden, in denen die Zielunternehmen noch keine oder nur geringe Umsätze erzielen. Entsprechend erlangen die Kartellbehörden oft noch keine Kenntnis von den entsprechenden Zusammenschlussvorhaben.
Thematisiert wurde, ob auch dann noch von sog. Killer Acquisitions gesprochen werden kann, wenn gerade im besonders dynamischen und innovationsgetriebenen digitalen Sektoren die von den Zielunternehmen begründeten Innovationen nicht eingestellt, sondern in das Unternehmen des Erwerbers integriert und teilweise weiterentwickelt werden. Das wurde grds. bejaht, sodann aber überlegt, wie das wettbewerbsrechtlich zu beurteilen ist. Beleuchtet wurden sowohl die negativen als auch die positiven Innovationsanreize.
Der Vortrag ging sodann auf Killer Acquisitions auf digitalen Märkten ein, auf denen ein hoher Innovationsdruck besteht. Als Beispiel hierfür wurde der Erwerb von WhatsApp in 2014 und Instagram in 2012 durch Facebook angeführt. Beleuchtet wurden zunächst die Unterschiedlichkeit des Pharmamarktes zu digitalen Märkten. Insofern besteht Uneinigkeit in der Literatur hinsichtlich der Verbreitung von Killer Acquisitions auf digitalen Märkten. Eine Aufgabe der Marke des Zielunternehmens erfolgte dort nämlich nach einer Untersuchung nur in ca. 60% der Fälle. Der Referent mahnte die Notwendigkeit weiterer empirischer Forschung an.
Der Referent ging sodann auf die Aufgreifinstrumente der Aufsichtsbehörden angesichts dessen ein, dass sich viele Vorgänge unterhalb der Fusionskontrolle abspielen. Der Referent sprach sich für ein möglichst flexibles Aufgreifinstrument aus. Dargestellt wurden die bereits diskutierten bzw. in den Mitgliedstaaten realisierten Modelle. Das bezog sich etwa auf transaktionsbezogene Aufgreifschwellen wie sie etwa in Deutschland in § 35 Ia GWB vorgesehen sind, auf marktanteilsbezogene Aufgreifschwellen, auf die Orientierung am wirtschaftlichen Wert einer Transaktion (sog. Economic-Goodwill-Test), auf die Verweisungslösung der Kommission über Art. 22 der Fusionskontrollverordnung sowie auf eine Anmeldeverfügung (z.B. § 32f II GWB). Letztere hält der Referent die Anmeldeverfügung für das grds. vorzugswürdige Instrument zur Erfassung von wettbewerbsschädlichen Zusammenschlussvorgängen unterhalb der Schwellenwerte für vorzugswürdig, da hier die Flexibilität der Behörden am größten sei.
Eingegangen wurden schließlich auf Art. 14 Digital Markets Act, der eine Kombination der Verweisungslösung und der Anmeldeverfügung sei. Diese Regelung verpflichtet die sog. Gatekeeper dazu, die EU-Kommission über alle geplanten Zusammenschlüsse vor deren Vollzug zu unterrichten. Jedoch ist im Digital Markets Act kein eigenes Fusionskontrollregime enthalten. Die Gefahr einer uneinheitlichen Verwaltungspraxis wurde betont.
Sodann wurde die materielle Beurteilung behandelt. Man müsse etwa prognostizieren wie sich das aufgekaufte Unternehmen entwickeln würde, wenn es nicht aufgekauft würde, was in der
Praxis erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen kann. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nur knapp wurde auf die mögliche Rolle von KI-getriebenen Technologien bei der Identifikation von Killer Acquisitions eingegangen. Der Vortrag schloss mit einem Ausblick und einer Conclusio.
An den Vortrag schloss sich eine Diskussion an. Dabei wurden u.a. die Möglichkeit einstweiliger Maßnahmen thematisiert. Aufgegriffen wurden auch der Aspekt der Verweisungslösung und deren bisherige praktische Relevanz sowie das Verhältnis zwischen Art. 32f GWB und Art. 14 Digital Markets Act.
Über die Ringvorlesung "Automatisierte Systeme"
Nähere Informationen über die Ringvorlesung "Automatisierte Systeme" sowie weitere Rückblicke auf vergangene Veranstaltungen finden Sie hier.
Über das Interdisziplinäre Institut für Automatisierte Systeme e.V. (RifaS)
Das Institut wurde im Herbst 2017 gegründet und steht für eine interdisziplinäre, nationale und internationale Forschung in verschiedenen Bereichen automatisierter Systeme. Die Forschungsbereiche lassen sich in Verkehr und Mobilität, Produktion und Wirtschaft sowie Medizin unterteilen. Das Institut bringt sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker zusammen und ist nicht nur in der Forschung aktiv, sondern auch in der Lehre.
Informationen zu aktuellen Veranstaltungen finden sich stets auf www.rifas.de.