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OVG Greifswald, Beschluss vom 27.05.2020 – 2 KM 439/20 OVG

OVG Greifswald, Beschluss vom 27.05.2020 – 2 KM 439/20 OVG

Belegungsobergrenze für Hotels rechtmäßig.

Die Antragssteller greifen eine Regelung der Coronaverodnung des Landes Mecklenburg-Vorpommern an, nach der Hotels nur zu 60% belegt werden dürfen.

Aus dem Urteil:

Der Verordnungsgeber verfolgt mit der Regelung das legitime Ziel, Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus zu verhindern und die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, und damit entsprechend dem staatlichen Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Menschen zu schützen.

Die Regelung in § 4 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a Corona-LVO MV ist geeignet, dieses Ziel umzusetzen. Nach den gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgt die Übertragung des Virus überwiegend durch Tröpfchen-Infektion zwischen Menschen. Dazu kommt es insbesondere bei körperlicher Nähe von Menschen im privaten und beruflichen Umfeld unabhängig von direktem Körperkontakt. Durch die Beschränkung der Auslastung auf 60% der Betten will der Verordnungsgeber zum einen eine Beschränkung von Kontakten in den Beherbergungsbetrieben selbst erreichen; zum anderen sollen auf diese Weise auch die Kontakte im Land Mecklenburg-Vorpommern durch die konzentrierte Anwesenheit von Personen in Beherbergungsbetrieben und in deren näherer Umgebung verringert werden. Durch die in der Verordnung vorgesehene Begrenzung der Bettenauslastung in Beherbergungsbetrieben kann diese Zielsetzung erreicht werden, da infolge einer geringeren Bettenbelegung die physischen Kontaktmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Beherbergungsbetriebes verringert werden. Dabei geht es insbesondere um die Verringerung der Ansammlung von Touristen an einem Unterbringungsort mit den das Infektionsrisiko erhöhenden Kontaktmöglichkeiten auf sog. Gemeinschaftsflächen in Form von Fluren, Lobby, Liften u.Ä.. Auch eine Verringerung der Gesamtzahl der im oder in das Land Mecklenburg-Vorpommern reisenden Touristen kann durch die Beschränkung der Bettenauslastung auf 60% erreicht werden, denn die Regelung richtet sich nicht allein an Hotelbetreiber, sondern an alle gewerblichen Betreiber von Beherbergungsbetrieben im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Corona-LVO MV.

Die Regelung ist auch erforderlich; andere Mittel sind nicht vorhanden, um das mit der angegriffenen Verordnung verfolgte Ziel gleichermaßen effektiv zu erreichen. Das Virus ist nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen hoch infektiös. Einen Impfstoff gibt es bislang ebenso wenig wie die Möglichkeit, die Erkrankung direkt medizinisch zu behandeln. Die medizinische Behandlung ist beschränkt auf die Symptombehandlung und allgemeine Stärkung des Körpers. Die Sterberate insbesondere bei den so genannten vulnerablen Gruppen der Bevölkerung, vornehmlich ältere Menschen mit Vorerkrankungen, ist nach den bisherigen Erkenntnissen innerhalb dieser Gruppe hoch. Die Vermeidung körperlicher Nähe zwischen Menschen und die Einhaltung bestimmter Hygieneregeln ist nach gegenwärtigem Wissensstand die gebotene Methode, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen oder gar zu hemmen. Dazu gehört die Begrenzung der Bewegungsfreiheit und der Kontaktmöglichkeiten der Menschen untereinander (vgl. Aktuelle Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts, zuletzt abgerufen am 26.05.2020 – www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Hierdurch kann eine Minimierung der Infektionsmöglichkeiten und -risiken herbeigeführt werden. Touristische Reisen und Aufenthalte begründen insoweit eine abstrakte Gefahr der Erhöhung des Infektionsgeschehens (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.04.2020 – OVG 11 S 25/20 – juris); dies gilt sowohl für touristische Reisende aus Mecklenburg-Vorpommern als auch aus anderen Bundesländern. Die von den Antragstellerinnen vorgelegten Hygiene-Maßnahmepläne erfassen nur einzelne eng begrenzte Abschnitte des Aufenthaltes der Touristen. Sie können damit der oben dargestellten abstrakten Gefahr nicht gleich effektiv begegnen (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 11.05.2020 – 2 KM 389/20 OVG – juris), sondern stellen nur Begleitmaßnahmen dar, um eine Öffnung bzw. Lockerung der vollständigen Schließung von Beherbergungsbetrieben überhaupt zu ermöglichen. Solche Begleitmaßnahmen sollen zu einer schrittweisen – weiteren – Öffnung von Beherbergungsbetriebe führen, soweit sich in der Folgezeit ergibt, dass die konkreten Maßnahmen der – teilweisen – Öffnung des Landes für touristische Zwecke nicht zu einer Erhöhung des Infektionsgeschehens im Land Mecklenburg-Vorpommern führen. Hinsichtlich dieser Entscheidung steht dem Verordnungsgeber ein Spielraum zu. Es ist insoweit derzeit nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber angesichts der großen Anzahl der jedes Jahr das Land Mecklenburg-Vorpommern besuchenden Touristen, die die Zahl der Einwohner um eine Vielfaches übersteigt, diese Zahl unter Beobachtung des weiteren Infektionsgeschehens nur schrittweise erhöht, die Entwicklung stetig unter Berücksichtigung der Infektionszeiten beobachtet und die Regelungen entsprechend anpasst.

Die Regelung ist zudem verhältnismäßig im engeren Sinne. Dem Senat ist dabei bewusst, dass es sich um einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG handelt; ebenso ist ihm aber die außergewöhnliche Gefährdungssituation durch das Coronavirus bewusst. Ob darüber hinaus – wie die Antragstellerinnen geltend machen – ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG vorliegt, kann hier offen bleiben, da insoweit die nachfolgenden Erwägungen des Senats in gleicher Weise gelten würden.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Infektionsschutzrecht der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen ist, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012, a. a. O., Rn. 32). Dies rechtfertigt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Überlegung, dass die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im Falle eines besonders schweren Schadens entsprechend zurückgenommen werden können (...).

Die angegriffene Regelung in § 4 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a Corona-LVO MV verstößt auch nicht offenkundig gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Regelung der Begrenzung auf 60% der Betten bezieht sich gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a Corona-LVO MV auf die gewerbliche Beherbergung in Hotels, Pensionen, Gasthöfen, Ferienunterkünften, Jugendherbergen und Gruppenunterkünften. Unter den dort genannten Begriff der Ferienunterkünfte fallen auch Ferienwohnungen und Ferienhäuser, soweit diese gewerblich vermietet werden. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich auch nicht im Verhältnis zu privaten Anbietern von Ferienunterkünften, denn der Verordnungsgeber geht in nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass von diesen wegen der geringen Gästezahl aus infektionsepidemiologischer Sicht eine erheblich geringere Gefahr ausgeht als von gewerblich betriebenen Ferienunterkünften.

 

Beschluss frei zugänglich