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BVerfG, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 BvR 2067/17

BVerfG, Beschluss vom 09.07.2020 – 1 BvR 2067/17

Verbot der Verwendung von Kennzeichen verbotener Vereine auch für nichtverbotene Teilorganisationen verfassungsgemäß.

Gemäß § 9 III dürfen die Kennzeichen verbotener Vereine auch von nichtverbotenen Teilorganisationen nicht verwendet werden. Das BVerfG hat nun entschieden, dass dieses Verbot in Abwägung mit Vereinigungs- und Meinungsfreiheit verfassungsgemäß ist.

Aus der Pressemitteilung:

Es kann offenbleiben, ob vereinsrechtliche Kennzeichenverbote in erster Linie an der Vereinigungsfreiheit oder der Meinungsfreiheit zu messen sind. Jedenfalls ist das angegriffene Kennzeichenverbot in den vorliegenden Fallkonstellationen mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Wertungen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit führen zu keinem anderen Ergebnis als die des Art. 9 Abs. 1 und 2 GG, und die angegriffenen Regelungen verletzen auch nicht die Eigentumsfreiheit.

1. Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit in Art. 9 Abs. 1 GG schützt für Mitglieder ebenso wie für eine Vereinigung selbst das Entstehen und Bestehen in der gewählten gemeinsamen Form. Dazu gehören Mitgliederwerbung und Selbstdarstellung ebenso wie das Namensrecht. Für die Identität der Motorrad-Vereinigungen ist das öffentliche Verwenden der Kennzeichen auf ihren „Kutten“ sogar von grundlegender Bedeutung. Die für die jeweilige Dachorganisation stehenden „Top-Rocker“ und „Central Patches“ sind aus ihrer Sicht Ausdruck des Zusammenhalts und der gemeinsamen Identität; sie werden seit Jahrzehnten nach strengen internen Regeln fast unverändert genutzt und haben einen hohen Wiedererkennungseffekt.

2. Das Kennzeichenverbot greift in diese Rechte des jeweiligen Vereins und seiner Mitglieder ein. Doch ist der Eingriff verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.

a) Der Gesetzgeber verfolgt das legitime Ziel, das Vereinsverbot aus Art. 9 Abs. 2 GG durchzusetzen, das selbst dazu dient, Gefahren von hochrangigen Verfassungsgütern abzuwenden. Vereine werden daher nicht nur formal verboten, sondern ihre Aktivitäten und Aktionsmöglichkeiten auch durch das hier in Rede stehende Kennzeichenverbot in der Öffentlichkeit untersagt. Das ist zur Erreichung dieser Ziele geeignet. Der Gesetzgeber durfte es mangels weniger einschneidender, aber gleich wirksamer Mittel auch für erforderlich halten, um seine Ziele zu erreichen.

b) Unter Berücksichtigung aller Belange ist das Kennzeichenverbot auch zumutbar, auch wenn es sich um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt, denn gerade das öffentliche Tragen der Vereinskennzeichen auf den Kutten hat für die Betroffenen einen hohen Wert. Das sanktionsbewehrte Verbot schränkt ihre Selbstdarstellung in der Zugehörigkeit zur jeweiligen Vereinigung ganz erheblich ein. Doch mindert sich das Gewicht des Eingriffs, weil die private Verwendung und damit beispielsweise auch die Tätowierung nicht verboten ist, solange das Kennzeichen in der Öffentlichkeit und einer Versammlung abgedeckt und nicht medial verbreitet wird. Auch kann bei geringer Schuld von Bestrafung abgesehen werden. Nach § 9 Abs. 3 Satz 2 VereinsG sind zudem nur Kennzeichen mit einem ähnlichen äußeren Gesamterscheinungsbild verboten, der Gesetzgeber wollte hier klären, dass dazu auch ein Kennzeichen gehört, das nur in der Orts- oder Regionalbezeichnung von denen verbotener Vereine abweicht.

Die Gründe des Gesetzgebers für das Kennzeichenverbot wiegen demgegenüber schwer. Insbesondere ist es untrennbar mit einem Vereinsverbot verknüpft, das (...) als Instrument präventiven Verfassungsschutzes auf den Schutz von Rechtsgütern hervorgehobener Bedeutung zielt. Grundrechtlich ist ein Verbot nur zu rechtfertigen, wenn eine Vereinigung durch den organisierten Verstoß gegen Strafgesetze, die kämpferisch-aggressive Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die Ausrichtung auf Gewalt in den internationalen Beziehungen oder vergleichbare völkerrechtswidrige Handlungen und damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung geprägt ist und mildere Mittel nicht genügen. Nur dann greift auch das Kennzeichenverbot. Damit tragen die Rechtsgüter, zu deren Schutz eine Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 GG ausdrücklich verboten werden kann, auch das Verbot, ihre Kennzeichen öffentlich weiter zu verwenden.

Pressemitteilung Nr. 72/2020