Im Rahmen der Ringvorlesung „Automatisierte Systeme“ gastierte Herr Prof. Dr. Paul Schrader von der Universität Bielefeld an der Leibniz Universität Hannover am Abend des 17. Juni 2019 mit einem Vortrag zur Haftung des Herstellers für automatisierte Fahrzeuge. Ausgerichtet wird diese Ringvorlesung durch das Interdisziplinäre Institut für Automatisierte Systeme e.V. (RifaS), dem Lehrstuhl für Zivilrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht (Prof. Dr. Buck-Heeb) und dem Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Zivil- und Handelsrecht (Prof. Dr. Oppermann).
In seiner Funktion als Direktor des RifaS eröffnete Herr Dr. Kuuya Chibanguza die gut besuchte Veranstaltung und skizzierte im Zuge dessen kurz das Anliegen seines interdisziplinären Vereins, angesichts der wachsenden Bedeutung automatisierter Systeme die rechtlichen und technischen Voraussetzungen dieses jungen Phänomens zu beleuchten und dabei eine Symbiose der Er-kenntnisse aus Lehre, Forschung und Praxis herzustellen. Als Tätigkeitsfelder des Vereins hob Herr Dr. Chibanguza dabei Verkehr und Mobilität, Produktion und Wirtschaft sowie die Medizin hervor. Abschließend sprach er eine herzliche Einladung an alle Interessenten aus, dem Verein beizutreten.
Nachdem Herrn Prof. Oppermann, zugleich Dekan der juristischen Fakultät, das Wort übernom-men hatte, betonte er gleichfalls die ständige Herausforderung des Rechts, sich immer neuer technischer Sachverhalte annehmen zu müssen. Er zeichnete den einschlägigen wissenschaftlichen Werdegang des Referenten nach und betitelte ihn infolgedessen als einen auf diesem Gebiet umfassend ausgewiesenen Experten, der ihn bereits bei einem früheren Vortrag vereinnahmt habe. Daher freue er sich sehr, dass die Ringvorlesung Herrn Prof. Schrader für seinen Vortrag gewinnen konnte und danke ihm für sein Engagement.
Dieser begann sodann seinen kurzweilen Vortrag. Als Ausgangsfall legte Prof. Schrader dabei einen herkömmlichen Verkehrsunfall zugrunde, anhand dessen er das tradierte Haftungssystem illustrierte. Im Fokus stünde gewöhnlich die Halter- und Fahrerhaftung nebst versicherungsrechtlichen Implikationen. Die Herstellerhaftung bestehe de lege lata in der Produkthaftung und der deliktischen Produzentenhaftung. Diese werde jedoch nicht unmittelbar durch das Versicherungsver-tragsgesetz (VVG) erfasst, sondern sei nur in etwaigen Regressfällen von Bedeutung.
Durch die Neuregelungen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) im Jahre 2017, die den Einsatz von voll- oder teilautomatisierter Systeme zum Gegenstand hatten, ergäben sich viele Auswirkungen und Rechtsfragen im Hinblick auf jenes hergebrachte Haftungsgefüge.
Als Beispiel für die Fahrerhaftung führte Prof. Schrader die neue Verhaltensanordnung an den Fahrer beim Gebrauch derartiger Systeme in Gestalt des § 1b StVG an, der jedoch mit mehreren unbestimmten Rechtsbegriffen operiere. Bei einem Verstoß ergäbe sich somit eine neue Kategorie eines klassischen haftungsauslösenden Fahrfehlers. Das sei jedoch primär nur im Innenverhältnis, also für den Regressfall des regulierenden Versicherers zum Unfallverursacher von Interesse und unter Umständen noch bei der Bemessung der Haftungsquote, habe jedoch keine herstellerhaftungsrechtliche Relevanz.
Die als Gefährdungshaftung ausgestaltete Halterhaftung hingegen werde durch die neuen Systeme bereits ganz grundsätzlich dadurch tangiert, dass derartige voll- oder teilautomatisierte Fahr-systeme dem Grunde nach überhaupt zugelassen würden.
Im Anschluss fokussierte sich Herr Prof. Schrader auf die dritte Säule des eingangs erläuterten Haftungssystems, die Herstellerhaftung. Dabei erläuterte er, dass sich die Neuerungen des StVG mittelbar auch auf die Herstellerhaftung auswirkten. Haftungsauslösend für eine Produkthaftung sei u.a. ein sog. Produktfehler (§ 3 Abs. 1 ProdHaftG). Dieser werde durch das Gesetz durch die sog. berechtigte Sicherheitserwartung näher umschrieben und diese wiederum beispielhaft mit der sog. Darbietung des Produkts, dem üblichen Gebrauch sowie dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens weiter normativ ausgefüllt. Herr Prof. Schrader arbeitete eindrucksvoll unter Bezugnahme auf den Gesetzestext des StVG heraus, welche Änderungen sich in der produkthaftungsrechtlichen Bewertung dieser Merkmale durch die Neuerungen ergeben könnten. Sonach stellen also die Merkmale des Produktfehlers ein geeignetes Einfallstor für die straßenverkehrsrechtlichen Neubewertungen dar, die erstmals voll- oder teilautomatisierte Systeme im Straßenverkehr regeln.
Beispielhaft stellte er dabei kritisch die Regelung in § 1a Abs. 2 Nr. 2 StVG heraus, wonach solche Systeme in der Lage sein müssen, den Verkehrsvorschriften zu entsprechen. Gesetzgeberischer Zweck sei erklärtermaßen gewesen, die Hauptursache für Verkehrsunfälle, das menschliche Handeln, zu minimieren. Die Technik solle also zu einer Schadensminimierung führen, weil sie im kon-kreten Fall, anders als der Mensch, weniger reflexhaft, mithin rationaler, schneller und unter Zuhil-fenahme einer Vielzahl von Parametern entscheiden könne. Dabei wies Prof. Schrader veran-schaulichend darauf hin, dass allein im Jahre 2017 rund 2,6 Mio. polizeilich erfasste Verkehrsun-fälle registriert wurden, bei denen ein menschlicher Fahrfehler unfallursächlich war. Nach der gesetzgeberischen Intention müsste das System also etwas erfüllen, wozu 2,6 Mio. Fahrzeugführer im Jahre 2017 nicht in der Lage waren.
Dem gleichermaßen unterhaltsamen wie lehrreichen Vortrag, der zuweilen auch von anschauli-chen und humoristischen Erfahrungsberichten des Referenten im persönlichen Umgang mit auto-matisierten Systemen untermalt wurde, schloss sich bei Speis und Trank eine angeregte Diskus-sion mit vielen Nachfragen an. Die Diskussion wurde moderiert von Herrn Dipl.-Jur. Hans Steege.
Verfasser: Benedikt Stücker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH