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OVG Münster, Beschluss vom 08.09.2020 – 13 B 902/20.NE u.a.

OVG Münster, Beschluss vom 08.09.2020 – 13 B 902/20.NE u.a.

Verbot sexueller Dienstleistungen unverhältnismäßig.

Aus der Pressemitteilung:

Mit Eilbeschluss vom heutigen Tag hat das Oberverwaltungsgericht die Untersagung des Angebots von sexuellen Dienstleistungen in und außerhalb von Prostitutionsstät­ten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen in der Coronaschutzverordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt (...).

Zur Begründung hat der 13. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienstleistungen verstoße voraussichtlich gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (...).

Bei den regelmäßig auf zwei Personen beschränkten sexuellen Kontakten dürfte die Gefahr zahlloser Infektionsketten, auf deren Vermeidung es dem Verordnungsgeber offenbar ankomme, wohl nicht in glei­chem Maße bestehen wie bei einigen der von ihm zugelassenen Veranstaltungen. Zu einer vom Land NRW angesprochenen erhöhten Atemaktivität und dem damit verbundenen vermehrten Ausstoß von möglicherweise virushaltigen Aerosolen komme es gleichermaßen in Sportstätten, wo die Ausübung nicht-kontaktfreier Sportarten gestattet sei, und in Fitnessstudios. Es sei auch nicht ersichtlich, dass das mit dem Ausstoß von Aerosolen verbundene Risiko der Ansteckung bei sexuellen Handlungen zweier Personen deutlich größer sei als bei privaten Feiern mit bis zu 150 Personen, die zum Teil durch eine ausgelassene Atmosphäre mit Musik, Tanz und dem Konsum alkoholischer Getränke geprägt seien und nach Angaben des Robert Koch-Instituts landesweit als Ursache größerer und kleinerer Ausbruchsge­schehen gelten würden.

Pressemitteilung vom 08.09.2020


Auch das OVG Lüneburg hatte Ende August in seinem Beschluss 13 MN 307/20 vom 28.08.2020 bereits ähnlich entschieden:

Der Antragssteller betreibt ein Bordell und wendet sich gegen die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der (6.) Niedersächsischen Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 10. Juli 2020 (im Folgenden: Corona-VO) angeordnete Schließung von Prostitutionsstätten.

Der Senat hat die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Corona-VO enthaltene Regelung vorläufig und mit allgemeinverbindlicher Wirkung außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung hat er zunächst herausgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für ein staatliches Handeln auch angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens weiterhin erfüllt seien. Die zuständigen Infektionsschutzbehörden seien allerdings verpflichtet, die Schutzmaßnahmen fortlaufend zu überprüfen und zu hinterfragen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden könne, die Schließung unter - gegebenenfalls strengen - Auflagen weiter zu lockern. In Bezug auf die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Corona-VO enthaltene vollständige und ausnahmslose Schließungsanordnung spreche Überwiegendes dafür, dass diese Anordnung jedenfalls nicht mehr erforderlich sei, weil den Betreibern derartiger Einrichtungen mildere Beschränkungen auferlegt werden könnten, die den Gesundheitsschutz gleichermaßen fördern könnten. Zu berücksichtigen sei zunächst, dass sich die Schließungsanordnung nur auf bestimmte Einrichtungen und auf die Anbahnung und Erbringung sexueller Dienstleistungen auf den und im Umfeld der öffentlichen Straßen und Anlagen (Straßenprostitution) beziehe, während die Ausübung der Prostitution z.B. in Privatwohnungen oder Hotelzimmern ebenso wenig verboten sei wie die Bereitstellung von Prostitutionsfahrzeugen. Vor diesem Hintergrund könne es nur um eine Minimierung, nicht um einen völligen Ausschuss einer Infektionsgefahr im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen gehen. Dieser Zweck könne auch durch spezielle Hygienekonzepte sowie der Erhebung der Kontaktdaten erreicht werden. Den von dem Antragsgegner vorgetragenen Bedenken, wonach von vornherein wegen des im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen vorstellbaren erhöhten Bedürfnisses der Kunden nach Diskretion eine Einhaltung derartiger Vorgaben nicht kontrollierbar sei, ist der Senat mit eingehender Begründung nicht gefolgt. Die vollständige Schließung von Prostitutionsstätten sei daher unverhältnismäßig und verletze den Antragsteller in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Ob zugleich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vorliege, könne daher offen gelassen werden.

Pressemitteilung vom 31.08.2020


Anfang Juni hatte der VGH Mannheim in seinen Beschlüssen 1 S 1617/20 u.a. vom 04.06.2020 die Schließung von Bordellen noch für verhältnismäßig erklärt.

Aus der Pressemitteilung:

Die beiden Antragstellerinnen betreiben Prostitutionsstätten in Konstanz, Baden-Baden und Heidelberg. Sie wenden sich gegen die Schließung ihrer Betriebe durch die Corona-Verordnung. Ein absolutes Verbot von Bordellen, ohne eine Öffnung unter denselben Hygieneanforderungen wie z.B. für Piercing- und Tattoostudios zu ermöglichen, sei unzulässig. Sie hätten für ihr Unternehmen ein Schutz- und Hygienekonzept entwickelt. Dieses sehe unter anderem vor, dass Körpermassagen zwischen zwei Personen im selben Arbeitsraum unter Beachtung aller Hygienerichtlinien erbracht würden; der Abstand zwischen den beiden Personen betrage während der Sitzung weniger als 1,5 m; es finde ein eingeschränkter Körperkontakt in Form einer Körpermassage nur durch die Begleiterin statt; die Massage werde mit Einmal-Handschuhen ausgeführt; es finde kein sonstiger Sex statt; Kunden und die Sexbegleiterin müssten Mund-Nasen-Bedeckungen tragen.

Der 1. Senat des VGH hat die Anträge abgelehnt. Zur Begründung führt er aus: Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerinnen ist gerechtfertigt. Nach wie vor bestünden Gefahren der schnellen Verbreitung des Coronavirus, wie die Ereignisse der letzten Wochen in Einrichtungen für Asylbewerber, bei religiösen Veranstaltungen und in fleischverarbeitenden Betrieben zeigten. Kontaktbeschränkungen - die bei sexuellen Massagen ebenso wie bei darüber hinaus gehenden sexuellen Kontakten nicht eingehalten werden könnten und die nach dem Konzept der Antragstellerinnen auch nicht eingehalten werden sollten („der Abstand...beträgt während der Sitzung weniger als 1,5 m“) - komme dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Ein Abstand von mindestens 1,5 Metern zu anderen vermindere das Risiko einer Übertragung des Coronavirus.

Zudem ziele die Ausübung der Prostitution, auch wenn sie sich auf sexuelle Massagen beschränken sollte, regelmäßig gerade auf das Herstellen eines engsten Körperkontakts, der zu einer deutlich gesteigerten Atemaktivität führe. Hierdurch entstünden erhöhte Infektionsrisiken. Denn durch die gesteigerte körperliche Aktivität und Atemfrequenz sei der verstärkte Ausstoß von möglicherweise infektiösen Aerosolen in geschlossenen Räumen konkret zu befürchten. Hinzu komme, dass in denselben Räumlichkeiten von denselben Prostituierten regelmäßig täglich mehrfach wechselnde Kunden bedient würden, was der Verbreitung einer Infektion in hohem Maße Vorschub leisten könne. Die jüngsten Vorfälle der Infizierung großer Personengruppen zeigten zudem, dass in solchen Fällen die Rückverfolgung von Infektionsketten von hoher Bedeutung sei, um die Weiterverbreitung des Coronavirus einzudämmen. Zwar sehe das Schutz- und Hygienekonzept der Antragstellerinnen vor, dass die Kunden ihre Kontaktdaten im Unternehmen hinterlassen und diese dort vier Wochen lang verwahrt würden. Da zahlreiche Kunden von Prostitutionsbetrieben jedoch ihre Besuche dort verheimlichen wollten, erscheine es nicht realistisch, dass eine zuverlässige und lückenlose Rückverfolgung der Infektionsketten annähernd gelingen könne.

Aus allen diesen Gründen bestehe in Prostitutionsstätten ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko im Vergleich zu Tattoo-, Piercing-, Massage-, Kosmetik-, Sonnen-, Nagel- und Friseurstudios, die unter Hygiene- und Schutzauflagen wieder geöffnet sein dürfen.

Pressemitteilung vom 09.06.2020


Das VG Berlin entschied Ende Juli in seinen Beschlüssen VG 14 L 173/20 u.a. vom 22.07.2020, dass das Verbot der Durchführung erotischer Massagen und des Betriebs von sog. BDSM-Studios gleichheitswidrig sei. So relsutiere das Verbot aus einer Gleichssetzung aller sog. körpernahen Dienstleistungen, obwohl der Körperkontakt bei erotischen Massagen und BDSM-Tätigkeiten regelmäßig geringer sei als beim (gewerblichen) Geschlechtsverkehr.

Pressemitteilung Nr. 39/2020