Nds. StGH, Beschluss vom 24.03.2020 – 7/19

Organstreitverfahren: Verletzung der Auskunftspflicht nach Art. 24 Abs. 1 NV.

Amtliche Leitsätze:

1. Bei Art. 24 Abs. 3 Satz 1 NV handelt es sich um eine Bestimmung des Staatsorganisationsrechts; sie räumt der Landesregierung kein Ermessen im Sinne des § 40 VwVfG zur Wahl der Rechtsfolge ein. In der Regelung kommt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zum Ausdruck, das die Verweigerung der Antwort auf eine parlamentarische Frage zu einem begründungsbedürftigen Sonderfall macht.

2. Wird eine Antwort zum Schutz der Interessen Dritter verweigert, fordert Art. 24 Abs.3 Satz 1 NV von der Landesregierung eine Prognose über die befürchteten Grundrechtsverletzungen. Die bloße Betroffenheit schutzwürdiger Interessen reicht nicht aus, um eine Antwortverweigerung zu rechtfertigen.

3. Das in Art. 24 Abs. 3 Satz 1 Alt. 3 NV niedergelegte Entscheidungsprogramm verlangt, dass die Landesregierung alle für und gegen die Beantwortung der Anfrage sprechenden Belange vollständig ermittelt, zutreffend gewichtet und gegeneinander abwägt.

4. Bei der Abwägung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Da sich gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützte Positionen - das Auskunftsrecht der Abgeordneten auf der einen und die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite - gegenüberstehen, gilt das Prinzip der praktischen Konkordanz, wonach kollidierende Verfassungsrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so in Ausgleich zu bringen sind, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

5. Der Abwägungsvorgang und das Abwägungsergebnis sind in der gemäß Art. 24 Abs. 3 Satz 2 NV geforderten Begründung offenzulegen. Es bedarf der Bezeichnung der kollidierenden grundrechtlich geschützten Positionen, der nachvollziehbaren Gewichtung der wechselseitigen Interessen und der Begründung, warum dem Grundrechtsschutz im jeweiligen Einzelfall der Vorrang zukommen soll. 

Urteil frei zugänglich