Auch im Jahr 2024 fand in der Weihnachtszeit eine Fahrt der Studierenden des arbeitsrechtlichen Schwerpunktbereichs 2 (Arbeit, Unternehmen, Soziales) zum Bundesarbeitsgericht nach Erfurt statt.
Geleitet wurde die Exkursion wie in den Vorjahren von dem Vorsitzenden Richter am BAG Prof. Dr. Heinrich Kiel, welcher die 20 Teilnehmenden am Nachmittag des 16. Dezembers am Hauptbahnhof Erfurt in Empfang nahm. Die Bahnfahrt erwies sich bereits als außergewöhnlich unkompliziert (und v.a. pünktlich), was bereits als gutes Omen für die ausgesprochen spannenden, informativen und stets unterhaltsamen Tage gedeutet werden konnte, die noch vor uns lagen.
Nachdem Professor Kiel uns am Bahngleis freudig begrüßt hat, führte er uns auf den Willy-Brandt-Platz unmittelbar vor dem Bahnhofsgebäude. Dieser verdankt seinen Namen einem Auftritt Willy Brandts am 19. März 1970, bei dem es zu spontanem Jubel der ostdeutschen Bevölkerung kam. Neben diesem Umstand wies uns Herr Kiel auf eine Vielzahl weiterer historischer Ereignisse der Erfurter Stadtgeschichte hin, während er uns über den malerischen Erfurter Weihnachtsmarkt zu unserer Unterkunft führte. Als Bleibe diente uns Studierenden das lokale Augustinerkloster, in dem bereits Martin Luther für einige Jahre als Mönch gelebt hat. Wie in einem Kloster nicht anders zu erwarten, gestalteten sich die Zimmer zwar als durchaus schlicht und kamen selbstredend nicht ohne Bibel auf dem Tisch und Kreuz an der Wand aus, dennoch fehlte es uns dort an nichts und insbesondere das Frühstücksbuffet erwies sich als ausgesprochen reichhaltig und vielfältig.
Nach kurzem Aufenthalt auf den Zimmern trafen wir uns mit Herrn Kiel in der Lobby und diskutierten die anstehenden Verhandlungen seines 9. Senats. Hierbei befragte er uns nach unserem Judiz, wobei es ihm besonders darauf ankam, ob wir dieses mittels nachvollziehbarer Argumente juristisch zu untermauern wussten. Im Anschluss begaben wir uns gemeinsam auf den Erfurter Weihnachtsmarkt, welcher über die gesamte Innenstadt verstreut liegt. Hierbei spendierte Professor Kiel jedem der wollte eine Schokoladenpraline („Trüffel“) auf der sog. Krämerbrücke. Hierbei handelt es sich um das älteste, nicht-kirchliche Bauwerk der Stadt und ein echtes Erfurter Wahrzeichen, welches es Herrn Kiel ersichtlich besonders angetan hat.
Uns verblieb nun noch eine halbe Stunde Zeit, in der wir nach Belieben über den Weihnachtsmarkt am Erfurter Domplatz schlendern konnten, bevor wir uns zum italienischen Restaurant Charleston auf den Weg machten. Hierbei handelte es sich (nach Aussage von Herrn Kiel) zwar nicht um das liebste Restaurant der BAG-Richterschaft, da wir jedoch an einem Montag angereist sind, war die bevorzugte Örtlichkeit leider geschlossen. Trotz dessen schmeckten sowohl Pizza als auch Pasta im Charleston ausgesprochen gut und das bei – für Studierende besonders wichtig – moderaten Preisen, sodass es keinerlei Anlass für Beschwerden gab. Während des Essens unterhielten wir uns angeregt mit Professor Kiel, der neben Einblicken in seine richterliche Tätigkeit am 9. Senat des BAG und Tipps für den Karriereweg auch über ganz private Themen sprach. Auf individuelle Nachfragen der Studierenden zu ihrem eigenen juristischen Lebensweg ging Herr Kiel ebenfalls umfänglich und stets mit großem Interesse ein.
Nachdem sich Professor Kiel gegen 21 Uhr von uns verabschiedet hat, um vor den anstehenden Verfahren – vor denen er nach eigener Aussage auch heute noch eine gewisse Nervosität verspürt – den nötigen Schlaf zu finden, ließen wir den Abend in Kleingruppen ausklingen. Während einige von uns einen erneuten Spaziergang über den Weihnachtsmarkt unternahmen, folgten andere dem ausdrücklichen Rat von Herrn Kiel, auch die Kneipenkultur der Stadt nicht zu unterschätzen, und besuchten noch einen netten, nahegelegenen irischen Pub.
Am nächsten Morgen saßen wir bereits in aller Früh am üppigen Frühstücksbuffet, um uns gut gestärkt zum BAG zu begeben. Zum Glück hatten wir genügend Zeit für den Weg zum Gericht eingeplant, denn dieses befand sich auf dem Erfurter Petersberg, welcher mit unserem Gepäck zunächst bewältigt werden musste. Beim BAG angekommen, fand eine Vorbesprechung mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitenden des Gerichts statt, welche die rechtlichen und tatsächlichen Hintergründe der zu verhandelnden Rechtssachen erläuterten.
Es wurden vier Verfahren verhandelt, wobei jeweils zwei Verfahren sich inhaltlich sehr ähnelten und auch von denselben Prozessbevollmächtigten verhandelt wurden. In dem ersten Komplex ging es um zwei nicht programmgestaltend tätige Rundfunkmitarbeiter, die bereits seit vielen Jahren beim Hessischen Rundfunk beschäftigt waren und ausweislich ihres Anstellungsvertrages freie Mitarbeiter darstellten. Nun wollten sie aber festgestellt wissen, dass tatsächlich ein Arbeitsverhältnis i.S.d. § 611a BGB vorliegt. Entscheidend für die Qualifikation des Beschäftigungsverhältnisses ist hierbei ausweislich des § 611a I S. 6 BGB nicht die Bezeichnung, sondern die tatsächliche Durchführung des Vertrages. Im Wege einer hilfsweisen Widerklage machte der Hessische Rundfunk Ersatzansprüche geltend, da dieser über die gesamte Beschäftigungsdauer Beiträge an eine Pensionskasse für freie Mitarbeiter geleistet hat, die im Falle eines Arbeitsverhältnisses rechtsgrundlos erfolgt und damit zurückzugewähren seien. Im Kern ging es damit um Fragen des Arbeitnehmerstatus, weshalb die Revision nach der internen Geschäftsverteilung auch vom 9. Senat des BAG zu verhandeln war.
Der zweite Verfahrenskomplex betraf dagegen zwei Mitarbeitende der Flugsicherheit, die von der arbeitgeberseitig angebotenen Möglichkeit eines Vorruhestandes Gebrauch gemacht haben, hierbei aber gewisse Gehaltseinbußen in Kauf nehmen mussten. Nachdem der Arbeitgeber infolge der Corona-Pandemie die Möglichkeit eingerichtet hatte, auch ohne entsprechende Abschläge in den Vorruhestand zu gehen, sahen sich die Klägerinnen übervorteilt und klagten auf Feststellung, dass auch ihnen eine abschlagsfreie Pension zustünde. Als Anspruchsgrundlage hierzu stellte die Klägerseite primär auf eine Gesamtzusage und subsidiär auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ab. Eine zentrale Rechtsfrage des Falles war hierbei insbesondere, ob der Arbeitgeber in zulässiger Weise Vergleichsgruppen gebildet und die von ihm selbst aufgestellten rechtlichen Maßstäbe konsequent und sachlich nachvollziehbar angewendet hat.
Professor Kiels Verhandlungsführung verstand es hierbei derart gut, die Perspektive der jeweiligen Prozessbevollmächtigten einzunehmen und sich in ihre rechtliche Argumentation hineinzudenken, dass mehrmals während des Verfahrens der Eindruck entstand, mal werde die Kläger- mal die Beklagtenseite obsiegen. Der Widerstreit rechtlicher Argumente wurde so besonders deutlich, was sicherlich auch damit zu tun hatte, dass das BAG – wie von Herrn Kiel während des Verfahrens mehrfach betont – eine reine Revisionsinstanz darstellt, sodass die angegriffenen Urteile lediglich auf Rechtsfehler hin überprüfbar sind. Neue tatsächliche Gegebenheiten können daher grundsätzlich nicht in das Verfahren eingeführt werden.
Im Anschluss an die mündlichen Verhandlungen zog sich das Gericht zur Beratung in das Richterzimmer zurück. Diese Zeit konnten wir zu einer Führung durch das BAG nutzen. Hierbei wurde uns insbesondere auch die Historie des Gerichts erläutert, etwa der Umzug von Kassel nach Erfurt in den 1990er Jahren. Außerdem erfolgten einige architektonische Hinweise. Im Zuge der Führung besuchten wir auch ein zurzeit leerstehendes Büro eines Bundesrichters, einen weiteren Verhandlungssaal einschließlich Beratungszimmer sowie die Bibliothek des BAG. Hierbei erfuhren wir, dass letztere öffentlich zugänglich ist und zudem – anders als möglicherweise in der Universitätsbibliothek der Fall – stets sämtliche Werke vor Ort vorhanden seien, da eine Ausleihe für Externe nicht möglich ist. Wer seine nächste Haus- oder Studienarbeit allerdings im Bundesarbeitsgericht anzufertigen gedenkt, muss sich zuvor über die bescheidene WLAN-Situation vor Ort im Klaren sein. Mit dem Ende der Führung war der offizielle Teil der Exkursion abgeschlossen. Wer nicht noch ein paar weitere Stunden in Erfurt verbringen wollte, konnte nun entspannt die Bahn erreichen und kam anschließend (nach einer erneut ungewöhnlich reibungslosen Zugfahrt) gegen Abend in Hannover an.
Zuletzt bleibt nur noch, Herrn Professor Kiel auch in diesem Jahr im Namen sämtlicher Teilnehmenden ein herzliches Dankeschön für die Fahrt nach Erfurt auszusprechen. Seine stets freundliche, an den Studierenden interessierte und vor ansteckender Begeisterung nur so sprühende Art machten den Ausflug zu einem einmaligen Erlebnis, der auch zukünftigen Schwerpunktstudierenden unbedingt zu empfehlen ist.
Verfasst von Lars Breitmeier.
Über den Schwerpunktbereich 2
Der Schwerpunkt „Arbeit, Unternehmen, Soziales“ befasst sich mit der rechtlichen Ordnung zentraler Bereiche unseres Wirtschafts- und Arbeitslebens. Informationen zu den Inhalten und zum Ablauf finden Sie hier.
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