Bereits zum Wintersemester 2022/23 durften wir Herrn Prof. Dr. Nikolas Eisentraut als neues Mitglied an unserer Fakultät begrüßen, nachdem er erfreulicherweise dem Ruf an Leibniz Universität Hannover gefolgt ist. Seitdem ist er Inhaber der Juniorprofessur für Öffentliches Recht, einer gemeinsamen Professur des Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und der Juristischen Fakultät Hannover.
Für alle, die noch nicht die Gelegenheit hatten, Herrn Professor Eisentraut kennenzulernen oder in der Vorlesung zu erleben, haben wir ihn nun interviewt:
Möchten Sie etwas Persönliches über sich preisgeben? Alter? Familienstand? Hobbies?
Das ist doch immer das Spannendste! Ich bin 34 Jahre alt, habe zwei Kinder, den 1. Kyu im Judo (brauner Gürtel) und ein Schlagzeug im Keller.
Wo haben Sie studiert und was hat Sie dazu bewegt, ein Jurastudium anzufangen?
Ich habe an der Freien Universität Berlin studiert. Die Idee, Jura zu studieren, war schon ganz lange da, ohne dass ich eigentlich gewusst hätte, was sich genau dahinter verbirgt. Vermutlich fand ich das Bild des Anwalts und Richters aus den Medien einfach schick. In der Schulzeit habe ich dann ein Praktikum in einer Kanzlei gemacht und im PW-Leistungskurs meine Begeisterung für politische Zusammenhänge entdeckt. Über Amnesty International habe ich angefangen, mich mit Menschenrechten auseinander zu setzen und mein Wunsch, das in einem Studium zu vertiefen, wurde immer klarer. Meine Lebensgefährtin hat dann ein halbes Jahr vor mir mit dem Jurastudium angefangen - ich war zu der Zeit noch Zivildienstleistender. Da habe ich dann das erste Mal von sowas wie der Conditio-sine-qua-non-Formel und den Staatsstrukturprinzipien des Grundgesetzes gehört und eine ganz konkrete Idee davon bekommen, worum es eigentlich im Jurastudium geht. Das hat mich zum Glück nicht abgeschreckt, sondern noch neugieriger gemacht.
Im Wintersemester 2022/23 haben Sie an unserer Fakultät die Vorlesung zum Hochschul- und Wissenschaftsrecht gehalten. Zudem beschäftigen Sie sich mit Fragen der Governance von Hochschulen und Wissenschaft durch Recht am DZHW, an dem Ihre Professur ja zu einem Teil angesiedelt ist. Was fasziniert Sie an diesem Themenbereich und was sind derzeit die „heißen Themen“ im Hochschul- und Wissenschaftsrecht für öffentliche Hochschulen in Deutschland?
Wir alle studieren und arbeiten an einer Hochschule und wissen häufig doch so wenig über diesen Ort! Dabei sind Hochschulen unheimlich spannende Institutionen und Spiegel unserer Gesellschaft. Am Hochschulrecht lassen sich ganz wichtige Entwicklungslinien nachzeichnen: Die Bildungsexpansion in den 1960er Jahren, dann der neoliberale Umschwung der 1990er Jahre, die Ausrichtung der Hochschulen auf ökonomische, wettbewerbliche Vorzeichen. Zurzeit lässt sich eine "Rückkehr des Staatlichen" beobachten, die außerökonomische Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Open Science und Nachhaltigkeit in den Vordergrund treten lässt. Die Hochschulen sind wieder als Orte gefragt, an denen politische Konflikte wissenschaftlich fundiert ausgetragen werden können. Das fordert auch die Wissenschaftsfreiheit heraus: Wenn Hörsäle besetzt werden, kontroverse Thesen zu Geschlechtlichkeit oder der Corona-Pandemie diskutiert werden sollen.
Zugleich europäisiert sich unser Hochschulsystem immer stärker und der System-Wettbewerb mit Staaten wie China spielt auch bildungspolitisch und hochschulrechtlich eine brisante Rolle. Die Digitalisierung verändert das Studieren - aktuell tobt die Debatte um ChatGPT und auf juristischem Feld die Frage, wie sich u.a. das Prüfungsrecht auf diese Entwicklung einstellen kann und muss. Zudem kommt den Hochschulen eine zentrale Bedeutung für die Wirtschaft zu: Als Ort der Ausbildung, aber auch als Denkfabrik und Innovationsmotor. Sich mit dem rechtlichen Rahmen all dieser Zusammenhänge zu befassen, ist sehr spannend und ich kann besten Gewissens alle Studierenden zur Vorlesung im kommenden Wintersemester 2023/2024 einladen!
Sie waren der erste, der ein juristisches Lehrbuch sowie ein Examens-Fallskript, die jeweils regulär im Handel erworben werden können, darüber hinaus als Open-Access-Publikationen veröffentlicht hat. Was bedeutet das und wie stehen die Verlage dazu, in denen Sie publiziert haben?
Ich engagiere mich für eine Öffnung der (Rechts-)Wissenschaft i.S.v. Open Science. Mich fasziniert die Idee, das Wissen der Menschheit mit den Mitteln des Digitalen allen verfügbar zu machen. Mit "Verwaltungsrecht in der Klausur" steht allen - insbesondere natürlich den Studierenden, aber ich habe auch schon Rückmeldungen dazu von interessierten Bürger*innen erhalten - ein kostenloses Lehr- und Fallbuch zur Verfügung, das das Verwaltungsrecht in examensklausurrelevanter Weise aufbereitet. Zu Anfang des Lehrbuchprojekts konnte ich kaum glauben, dass es so gut wie keine frei verfügbaren, offen lizenzierten juristischen Lehrmaterialien gibt. Der Lehrbuchmarkt wird auch weiterhin weitgehend von kommerziellen Interessen getragen. Die Politik forciert aber mittlerweile eine Wende der Wissenschaft hin zu Open Access: Verlage erhalten hohe Fördergelder dafür, dass sie die Ergebnisse ihrer Verlagsleistung Open Access verfügbar machen und eben nicht nach Veröffentlichung kommerziell verwerten. Der Verlag De Gruyter, bei dem mein Lehrbuch erschienen ist, hat diesen Trend erkannt und wirbt explizit damit. Vielerorten gründen sich zudem sog. wissenschaftsgeführte Publikationsorgane, z.B. Hochschulverlage, und treten mit umfassenden Open-Access-Modellen in Konkurrenz zu den etablierten Verlagen. Was Lehrbücher betrifft, ist hier aber noch deutlich Luft nach oben, was uns zur nächsten Frage führt…
Im November 2021 haben Sie den Verein OpenRewi e.V. mitgegründet, in dem Sie sich auch als Vorstandssprecher engagieren. Was hat sich der Verein zur Aufgabe gemacht und wer wirkt daran bislang alles mit?
Mit unserem Verein OpenRewi e.V. setzen wir uns dafür ein, allen kostenlosen Zugang zu juristischem Wissen zu ermöglichen. Wir erstellen in Projektteams frei zugängliche, hochwertige, aktuelle und aufgrund der offenen Lizenz weiternutzbare rechtswissenschaftliche Lehrmaterialien. Es sind in der Zwischenzeit weitere Lehrbücher zum Staatsorganisationsrecht und zu den Grundrechten im Open Access erschienen und weitere folgen. Wir haben zudem Projekte, die Handbücher und demnächst wahrscheinlich den ersten offenen juristischen Kommentar erarbeiten. Aktuell sind rund 150 Personen in Projekten von OpenRewi aktiv: Von Studierenden, über Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, bis hin zu Professor*innen, Anwält*innen und Richter*innen. Wir freuen uns immer über neue Mitglieder, die Lust haben, im Verein mitzuwirken und natürlich über neue Projekte!
Kurz gefragt, kurz geantwortet:
Powerpoint oder Whiteboard?
Vorlesung: Powerpoint und Falllösungen am (digitalen) Whiteboard.
Auto, Fahrrad oder Öffis?
Alle drei, je nach Strecke und Ziel.
Roman oder Netflix-Serie?
Roman. Zuletzt: Demut von Szczepan Twardoch.
Kochen oder kochen lassen?
Ich koche sehr gern!
Bier oder Wein?
Meistens Bier.
Habersack (ehemals Schönfelder) oder Beck-Ausgaben?
Die Gesetzessammlungen von Studiosus Iuris.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Herrn Eisentraut für das Interview!