Vorbereitung (Planung, Organisation und Bewerbung bei der Gasthochschule)
Nachdem ich mich entschieden hatte, ein Jahr meines Studiums im Ausland zu verbringen, musste zunächst der Bewerbungsprozess in Hannover erfolgreich bewältigt werden. Der Ablauf ist der Internetseite des International Office sowie des Erasmus-Office der juristischen Fakultät zu entnehmen.
Danach verlangt auch die Universität in Turku noch eine Online Bewerbung. Im Rahmen dieser Online-Bewerbung wird unter anderem das Learning Agreement erstellt. Die Informationen zu den Kursen sind zwar problemlos auf Englisch online zu finden, allerdings war zu diesem Zeitpunkt nur der Kurskatalog des Jahres 2016/ 2017 verfügbar. Das Learning Agreement muss deshalb nach Ankunft in Turku nahezu sicher noch einmal geändert werden, da sich Kurse überschneiden oder gar nicht erst angeboten werden.
Nach erfolgreicher Immatrikulation schickt die Universität Turku das Learning Agreement sowie ein sehr hilfreiches Infopaket zum Leben und Studium in Turku. Jeder Austauschstudent bekommt außerdem einen Tutor gestellt, also einen finnischen Studenten, der einem mit Rat und Tat zur Seite steht. Meine Tutorin hat mich bald schon per Email kontaktiert und über die zwei Semester habe ich mich wirklich gut mit ihr angefreundet.
Die nächsten wichtigen Punkte auf meiner „Checkliste“ waren die Bewerbung für einen Wohnheimplatz in Turku (näheres dazu unten) und die Bezahlung der Mitgliedschaft in der Student Union (TYY). Letzteres ist für Erasmusstudenten nicht verpflichtend, aber sehr zu empfehlen. Für 53,50€/Semester erhält man nicht nur Vergünstigungen auf Bus- und Zugreisen und in zahlreichen Museen, Restaurants und Shops, sondern auch das Recht den Finnish Student Health Service und die stark vergünstigten Mahlzeiten in der Mensa in Anspruch zu nehmen. Nach Zahlung der Gebühr kann man auf der Frank Website seine Student Card bestellen (ca. 15 €) oder umsonst die Frank App herunterladen. Dabei handelt es sich quasi um eine digitale Student Card.
Wer noch keine Kreditkarte hat, sollte sich unbedingt eine zulegen (z.B. bei der DKB). Die Finnen bezahlen fast alles bargeldlos und ohne finnisches Bankkonto benötigt man oft eine Kreditkarte (z.B. um Credits für die Waschmaschinen im Wohnheim zu buchen).
Die günstigste Möglichkeit der Anreise ist wohl die Flugverbindung mit Ryanair von Bremen nach Tampere (ca. 2 Stunden). Je nach Datum habe ich dort Flüge ab 20-30€ bekommen. Von Tampere geht es in zwei Stunden mit dem Bus nach Turku (ab 2€ bei Onnibus). Leider fliegt Ryanair nicht von November bis Februar, für die Heimreise über Weihnachten musste es daher die teurere Verbindung Helsinki-Hamburg mit Finnair sein.
Unterkunft
Wer sich in Turku nicht eigenständig über den privaten Wohnungsmarkt eine Bleibe suchen möchte (was Erzählungen nach sehr langwierig und schwierig sein kann), sollte sich unbedingt rechtzeitig online bei TYS und Retrodorm bewerben.
TYS ist das offizielle Studentenwerk und bietet für Austauschstudenten Unterkünfte im Student Village und Varissou. Retrodorm ist ein ehemaliges Altenheim, das zum Studentenwohnheim umfunktioniert wurde. Beide sind meist schnell voll, weswegen man sich unbedingt so bald wie möglich bewerben sollte (fürs Wintersemester ab Anfang Mai).
Ich hatte Glück und wurde bei beiden angenommen. Trotz der teureren Miete (373€/Monat) habe ich mich für das Student Village entschieden, vor allem aufgrund der nahen Lage zu Uni und Stadtzentrum. Dort hat man ein eigenes möbliertes Zimmer mit Bad und teilt sich die Küche mit 11 anderen Austauschstudenten auf dem Gang. Das ist zwar oft etwas chaotisch und in manchen Küchen ließ die Sauberkeit sehr zu wünschen übrig, aber es bot auch die perfekte Gelegenheit um mit Leuten in Kontakt zu kommen, gemeinsam zu kochen und Zeit zu verbringen.
Jeder Mieter darf viermal im Monat umsonst die Sauna nutzen, von denen in jedem Gebäudeblock eine zu finden ist. Ein Internetanschluss ist in jedem Zimmer vorhanden, allerdings muss man sich selbst einen Router besorgen, wenn man WLAN haben möchte. Wer die Gebühr für die Student Union Membership gezahlt hat, kann für 20€ ein „Starting Package“ bekommen, welches eine Grundausstattung mit Geschirr sowie Bettdecke, Kissen und Vorhängen beinhaltet. Für weitere Bedürnisse lohnt sich die etwa 30-minütige Busfahrt zu Ikea oder die Suche über Flohmarktgruppen bei Facebook.
Studium an der Gasthochschule
Zu Beginn des Aufenthaltes sollte man unbedingt die Einführungstage besuchen, wo wichtige Informationen u.a. zur Kurswahl und Klausuranmeldung gegeben werden.
Das Studium in Turku ist sehr anders aufgebaut als in Hannover. Das Semester ist noch einmal in zwei Perioden unterteilt, die Kurse laufen meist entweder nur in der ersten oder nur in der zweiten Periode. Gerade bei den englischsprachigen Jurakursen sind aber auch sehr viele Blockkurse dabei, die z.B. nur über einen Zeitraum von zwei Wochen stattfinden. Die Registrierung findet online über das Portal „Nettiopsu“ statt, allerdings nicht an einem zentralen Termin zu Beginn des Semesters, sondern für jeden Kurs je nach Kursbeginn in einem individuellen Zeitraum. Meist erfährt man erst etwa eine Woche vor Kursbeginn, ob man tatsächlich einen Platz bekommen hat. Da die Master Studenten bei vielen Kursen bevorzugt aufgenommen werden, kann es durchaus passieren, dass man trotz rechtzeitiger Anmeldung am Ende keinen Platz mehr bekommt, vor allem da die Kursgrößen in der Regel sehr überschaubar sind (oft unter 30 Plätze).
Das macht es etwas schwierig, das Learning Agreement innerhalb des ersten Monats nach Semesterbeginn zu ändern bzw. erfordert unter Umständen mehrfache Änderungen. Die Kurse erfordern viel Mitarbeit in Form von Essays, Gruppenpräsentationen etc.. Dafür ist allerdings die Klausurenphase relativ entspannt und die Klausuren sind ohne Zeitdruck konzipiert.
Ich habe 30 ECTS an Jurakursen belegt, um die Semester auf meinen Freischuss angerechnet zu bekommen. Darunter waren etwa European Law, Intellectual Property Law, International Trade Law, Migration Law, Environmental Law und Introduction to Gender and Law. Die Auswahl wird erweitert durch die Kurse, die von der schwedischen Universität (Åbo Akademi) angeboten werden. Diese können auch von Austauschstudenten der Uni Turku gewählt werden. Am besten nimmt man schon mindestens einen Kurs der Åbo Akademi in das ursprüngliche Learning Agreement auf, das vereinfacht die spätere Registrierung dort. Neben den Jurakursen habe ich in beiden Semestern noch einen Finnischkurs besucht (je 4 ECTS). Für die Verständigung im Alltag ist das sicher nicht notwendig und wer kein besonderes Interesse an Sprachen hat, kann sich das entweder ganz sparen (Finnisch ist wirklich eine unfassbar komplizierte Sprache) oder sich auf den einsemestrigen „Survival Course“ (2 ECTS) beschränken.
Alltag und Freizeit
Die Lebenshaltungskosten in Finnland sind etwas höher als in Deutschland, verglichen mit den Nachbarn Schweden und Norwegen aber noch moderat. Überall teuer ist allerdings Alkohol – ganz besonders in den Bars und Clubs. Direkt im Student Village befindet sich praktischerweise ein kleiner Supermarkt, der eigentlich jeden Tag geöffnet hat. Den Großeinkauf sollte man aber lieber beim deutlich günstigeren Lidl im Stadtzentrum erledigen. Die Hauptmahlzeit des Tages war für mich meist das Mittagessen in der Mensa. Dort bekommt man für 2,60€ eine Hauptspeise mit Beilagen, Salat vom Salatbuffet, Brot mit Butter, ein Glas Saft/Milch und so viel Wasser, wie man möchte. Die Hauptmensa (Assarin Ulakko) hat bis abends geöffnet, daneben gibt es auf dem Campus und in der Stadt verstreut noch zahlreiche kleinere Mensen.
Sehr zu empfehlen ist der Campussport. Es gibt mehrere Fitness-Studios und ein großes Angebot an Sportkursen, die für 44€ (ein Semester) bzw. 66€ (zwei Semester) genutzt werden können. Die nächste Sporthalle vom Student Village aus ist im Educarium und zu Fuß in fünf Minuten zu erreichen. Ich habe mir relativ bald nach meiner Ankunft über die Facebookgruppe „Fleamarket Turku“ ein Fahrrad gekauft und es nicht bereut. Vom Student Village ist man mit dem Fahrrad schneller an der Uni und der Stadt als mit dem Bus und selbst im Winter war Radfahren noch erstaunlich gut möglich. Fährt man viel Bus, lohnt sich eine Föli-Monatskarte, mit der man unbegrenzt Bus fahren kann. Ich selbst hatte eine sogenannte Value-Card. Im Unterschied zur Monatskarte werden von dieser die Fahrten einzeln abgebucht, aber zu einem günstigeren Tarif, als wenn man die Tickets einzeln im Bus kauft. Für mich war dies die perfekte Ergänzung zum Fahrrad, wenn doch einmal längere Strecken anstanden oder das Wetter nicht mitspielte. Vom Student Village fährt der Bus Richtung Stadt und Uni alle 15 Minuten.
Auch wenn Turku mit etwa 180,000 Einwohnern deutlich kleiner als Hannover ist, wurde es niemals langweilig. Neben den berüchtigten „Kitchen-Parties“ im Wohnheim organisieren auch die Student Union und ihre 144 Untergruppen eine schier unendliche Zahl an Veranstaltungen: Egal ob Oktoberfest, St.Patrick’s Day, Dia de los Muertos, deutscher Mauerfall, Halloween, Karneval, finnische Unabhängigkeit, Weihnachten, Ostern, Vappu – den finnischen Studenten ist jeder Anlass für eine Mottoparty recht. Zwei besonders beliebte Formen sind dabei Pubcrawls und „Sitz-Parties“. Letzteres sollte man unbedingt mindestens einmal besucht haben. In einer vorher festgelegten Sitzordnung wird dabei ein 3-Gänge-Menü gegessen, was dazu führt, dass man „gezwungen“ ist, sich in den etwa drei Stunden mit seinen höchstwahrscheinlich komplett fremden Sitznachbarn zu unterhalten. Dabei wird viel gesungen, gelacht und natürlich getrunken. Man sollte sich ruhig trauen, auch zu finnischen oder schwedischen Sitz-Parties zu gehen. Auch wenn man nicht alles versteht, ist dies eine tolle Möglichkeit finnische Studenten kennenzulernen und ein bisschen aus der „Erasmus-Blase“ herauszukommen. Neben feucht-fröhlichen Partys organisieren die Student Organisations aber z.B. auch Wanderungen in Nationalparks, Kochabende, Picknicks, Stadtführungen und –rallyes, Sportwettbewerbe, Saunabesuche, Kulturabende, Filmvorführungen und Fachseminare. Besonders erwähnt seien hier ESN Uni Turku sowie LEX und ELSA Turku. Es lohnt sich, diesen auf Facebook zu folgen und sich auf die Mailing Listen setzen zu lassen, um über kommende Veranstaltungen informiert zu werden.
Turku ist der perfekte Ausgangspunkt für Reisen in Finnland und in die angrenzenden Ostsee-Staaten. ESN organisiert in der Regel einmal pro Semester Reisen nach Lappland und Russland, man kann dies aber auch gut unabhängig von ESN organisieren, z.B. mit TimeTravels. Von Turku direkt kann man mit der Fähre die Åland-Inseln und Stockholm besuchen, von Helsinki fährt in zwei Stunden die Fähre ins wunderschöne Tallinn. WizzAir bietet von Turku aus sehr günstige Flüge nach Danzig an, mit Air Baltic kommt man günstig nach Riga. In der Umgebung von Turku sollte man unbedingt den Strand von Ruissalo, das kleine Hafenstädtchen Naantali und der Kurjenrahka-Nationalpark besuchen.
Fazit
Auch wenn es für das deutsche Jurastudium nichts „gebracht“ hat (im Sinne von anrechenbaren Leistungen), war die Zeit in Turku definitiv eine der besten Erfahrungen meines Lebens. Ich habe viele tolle Orte gesehen, Freunde fürs Leben gefunden und hatte die Möglichkeit juristisch „über den Tellerrand zu schauen“ und interessante Rechtsgebiete abseits vom niedersächsischen Examensstoff kennenzulernen.
Zum Abschluss noch zwei Tipps: Kauft einen Student-Overall, entweder den von ESN oder von LEX. Wenn ihr die paar Euro übrig habt, ist dies eine super Investition um noch tiefer in das finnische Studentenleben einzutauchen und hinterher eine tolle Erinnerung. (Außerdem eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung: Nähabende!) Und schlussendlich: Nehmt alle Möglichkeiten mit, die sich euch bieten, auch wenn es manchmal Überwindung kostet! Ihr werdet es kein einziges Mal bereuen.
Bericht und Bilder von Nathalie Hamm.
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