Juristische Fakultät Fakultät Professuren Prof. Dr. Völzmann Aktuelles
Hegemoniekritik des Rechts am Beispiel der Rechtsprechung zu Feminiziden: Rückblick auf die Ringvorlesung „Recht-kritisch“ mit Dr. Liza Mattutat

Hegemoniekritik des Rechts am Beispiel der Rechtsprechung zu Feminiziden: Rückblick auf die Ringvorlesung „Recht-kritisch“ mit Dr. Liza Mattutat

© Lena Tenge | Juristische Fakultät Hannover

Am 27. November 2024 hielt Dr. Liza Mattutat von der Leuphana Universität Lüneburg im Rahmen der Ringvorlesung „Recht – kritisch: Alternative Zukünfte denken“ einen Vortrag zum Thema „‚Trennungstötung‘ und ‚Ehrenmord‘. Hegemoniekritik des Rechts am Beispiel der Rechtsprechung zu Feminiziden“.

Dr. Mattutat ging in ihrem Vortrag auf Antonio Gramscis Theorie ein, wonach hegemoniale Macht nicht nur durch Zwang, sondern auch durch Konsens und Zustimmung entsteht – etwa in gesellschaftlichen Debatten sowie in der und durch die Rechtsprechung. Sie interpretierte die Rechtsprechung zu Feminiziden als Teil eines okzidentalen Hegemonieprojekts (Gabriele Dietze), das die Unterscheidung zwischen „Okzident“ und „Orient“ nutzt, um westliche Emanzipationserfolge in Abgrenzung zu muslimischen Migrant*innen zu betonen. Dies verdeutlichte Dr. Mattutat mit aktuellen Zahlen: Laut dem am 19. November 2024 veröffentlichten Bundeslagebild 2023 des Bundeskriminalamts (BKA) wurden 938 Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten, von denen 80,6% im Kontext von Partnerschaften stattfanden. Bei einer Analyse der Rechtsprechung wurde dabei deutlich, dass die Gerichte bei deutschen Tätern häufig das patriarchale Besitzdenken verkennen und stattdessen ein Motivbündel ohne klares Hauptmotiv annehmen und niedere Beweggründe ablehnen, während dagegen bei migrantischen Tätern häufiger auf ein einzelnes Motiv, den Ehrenmord, reduziert wurde und hier die niederen Beweggründe bejaht werden. Dies führt zu starken Unterschieden im Strafmaß: Nur wenn das Gericht einen „niederen Beweggrund“ iSd. § 211 StGB (Mord) annimmt, führt dies zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe; andernfalls wird die Tat lediglich als ein Totschlag iSd. § 212 StGB eingeordnet und mit maximal 15 Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Forderungen der antirassistischen feministischen Kritik lauten daher, dass niedere Beweggründe grundsätzlich bejaht werden sollten, wenn die Motive in männlichem Besitzdenken gründen, und das Schuldprinzip dabei strikt individuell angewendet werden sollte. Das Publikum diskutierte im Anschluss angeregt über die Notwendigkeit, rechtliche und gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen, um effektiver gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen. Dr. Mattutats Vortrag bot hierfür zahlreiche Denkanstöße und zeigte eindringlich, wie zentral eine kritische Perspektive auf das Recht in diesem Kontext ist.

Über die Referentin

Dr. Liza Mattutat ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin/Research Associate an der Leuphana Universität Lüneburg und hat seit dem Wintersemester 2021 die Post-doc-Stelle des Graduiertenkollegs „Kulturen der Kritik/DFG Research Training Group „Cultures of Critique“ inne.

Über die Ringvorlesung

Im Wintersemester 2024/25 veranstaltet Frau Prof. Dr. Völzmann (Gastprofessur für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie, Geschlechter- und Diversityforschung) die Ringvorlesung „Recht – kritisch: Alternative Zukünfte denken“. Die Ringvorlesung will Rechtsnormen kritisch hinterfragen: sowohl im Rahmen ihrer Auslegung und Anwendung als auch mit Blick auf mögliche Weiterentwicklungen. Feministische Rechtskritik, Rassismus kritische und Klassismus kritische Perspektiven, die Legal Disability Studies und Kritik am bestehenden Tierschutzverständnis hinterfragen Vorannahmen sowie Objektivitäts- und Neutralitätsvorstellungen. Studierende haben die Möglichkeit, sich die Teilnahme an der Ringvorlesung sowohl als Grundlagenfach für die Zwischenprüfung als auch als Schlüsselqualifikation nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) NJAG anrechnen zu lassen. Die Vorträge finden stets ab 16.15 Uhr (am 20.11.2024 abweichend um 18 Uhr) in Hörsaal 1507.003 und online über Webex statt. Eine Teilnahme ist über diesen Link möglich. Die nächsten Termine finden Sie hier.