Die Ringvorlesung „Automatisierte Systeme“ startete am 12. Januar mit einem Vortrag von PD Dr. Andreas Dieckmann mit dem Thema „Digitale Finanzmärkte, analoges Recht? – Zur digitalen Transformation des Kapitalmarktrechts“ in das Jahr 2021. Zum zweiten Mal haben der Lehrstuhl für Zivilrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht (Prof. Dr. Buck-Heeb) und der Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Zivil- und Handelsrecht (Prof. Dr. Oppermann) zusammen mit dem Interdisziplinären Institut für Automatisierte Systeme e.V. (RifaS) zu einem Onlinevortrag eingeladen.
Dr. Andreas Dieckmann begann seinen Vortrag mit einer Bestandsaufnahme des einerseits voll elektronisch, also digital ablaufenden Wertpapierhandels und dem analogen Charakter des Kapitalmarktrechtes in Bezug auf die Übertragung von Wertpapieren als realkörperlichen Sachen andererseits. Auch wenn nach § 2 Abs. 1 WpHG die Eigenschaft als Wertpapier seine Verbriefung in einer Urkunde an sich nicht voraussetzt, sind Wertpapiere nur dann umlauffähig und damit auf den Finanzmärkten handelbar, wenn sie gutgläubig erworben werden können. Das ist nach deutschem Recht aber nur bei Wertpapieren als realkörperliche Sachen möglich. Dieckmann vertrat die These, dass sich über blockchainbasierte Kryptotoken der erforderliche gutgläubige Erwerb von Wertpapieren digital abbilden lassen und es dadurch nicht zu einer digitalen Transformation des Kapitalmarkts, sondern auch des Kapitalmarktrechts komme.
Obwohl das Kapitalmarktrecht zum großen Teil aus öffentlich-rechtlichen Regelungen besteht, richten sich die tatsächlichen Abläufe rechtlich nach dem Zivilrecht. Dieses steht einem Wertpapier ohne Urkunde dadurch im Wege, dass ein gutgläubiger Erwerb an Forderungen und Rechten, die Gegenstand der Wertpapiere als Schuldtitel oder Aktien sind, ausgeschlossen ist. Erst wenn diese verbrieft sind, ist ein gutgläubiger Erwerb möglich, und es kann eine gesteigerte Umlauffähigkeit bei gleichzeitiger Anonymität auf dem Kapitalmarkt erreicht werden. Denn nur durch die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs könne angesichts der Anonymität der Marktteilnehmer das notwendige Vertrauen geschaffen werden.
Dieckmann zeichnete anschließend die historische Entwicklung der Wertpapierpraxis anschaulich nach. Wo anfangs noch jedes einzelne Wertpapier in einem Depot lagerte, um durch die verwahrende Bank als mittelbaren Besitzer eine vereinfachte Übergabe bei der Eigentumsübertragung zu ermöglichen, wurde diese Praxis immer weiter optimiert. Heutzutage liegt bei den Zentralverwahrern nur noch eine einzige Dauerglobalurkunde, an denen die Inhaber Miteigentum nach ihren Anteilen haben.
Die Problematik dieser Praxis liegt zum einen darin, so Dieckmann weiter, dass der mittelbare Besitz gemäß § 868 BGB an sich nur zeitlich begrenzt möglich sein sollte. Der Eigentümer des Wertpapiers müsste also jederzeit die Herausgabe verlangen können, was mit dem Charakter der verwahrten Wertpapiere als Dauerglobalurkunden aber nicht vereinbar ist. Diese rechtliche Problematik des Wertpapierhandels wird noch dadurch verschärft, dass faktisch eine Änderung der Inhaberschaft durch Umbuchungen auf den Depotkonten von Erwerber und Veräußerer vorgenommen wird. Die Umbuchung entspricht damit der an sich erforderlichen sachenrechtlichen Übergabe, wodurch der Kontobuchung in den Augen der Beteiligten Rechtsscheinscharakter zukommt, ähnlich einer Registereintragung. Einer solchen Buchung fehlt es jedoch an der im Sachenrecht notwendigen Publizität.
Daraufhin kam der Vortragende auf den Regierungsentwurf zu Einführung von elektronischen Wertpapieren zu sprechen, der für rein elektronische Schuldverschreibungen, also für Aktien gerade nicht, ein zentrales Wertpapierregister als Lösung vorsieht, ggf. auch mittels Blockchain. An dieser Stelle sieht Dieckmann die größte Schwäche des Entwurfes, denn eine Blockchain zeichne sich gerade durch ihre Dezentralität und die Nutzung kryptographischer Verschlüsselung aus. Diese wird aber nicht ausgenutzt.
Seiner Ansicht nach gäbe es die Möglichkeit, dass ein blockchainbasiertes Wertpapier, ganz konkret ein sog. Investment-Token, durch die öffentliche, sichere Protokollierung jeder Buchung eine ausreichende Publizität gewährleisten könne. Der zur Übertragung der Inhaberschaft erforderliche, private Schlüssel könne mit Hilfe einer solchen Blockchain dasselbe Vertrauen schaffen, wie es ein öffentliches Register erfährt. Der Vorteil gegenüber der Registerlösung des Regierungsentwurfs liegt vor allem darin, dass dort nur der Eingetragene als Inhaber des Wertpapiers gilt und die Übergabe weiter in der jeweiligen Buchung liegt. In der dezentralen Blockchain-Lösung läge sie in der Macht, über das kryptographische Verfahren dem Erwerber eine Einbuchung des zu übertragenden Wertpapiers auf sein blockchainbasiertes „Konto“ zu verschaffen und ihn so zum Inhaber des Wertpapiers zu machen. Als neuer Inhaber des blockchainbasierten Wertpapiers wäre der Erwerber damit auch dessen Berechtigter.
Auch Kritikpunkte an der Abwicklung des Wertpapierhandels über blockchainbasierte Krypto-Token sprach Dieckmann an. So könnte durch die fehlende Rolle eines Intermediärs der Anlegerschutz sinken. Die Verwirklichung des Anlegerschutzes sei insofern jedoch nicht Aufgabe des Zivilrechts, sondern des Aufsichtsrechts. Eine Digitalisierung des Kapitalmarktrechtes sei daher durchaus auf der Grundlage von blockchainbasierten Krypto-Token möglich.
Anschließend beantwortete Dieckmann Nachfragen zu unterschiedlichsten Aspekten seines Vortrags. So ging er darauf ein, dass die umweltspezifische Nachhaltigkeit von Blockchains im Regierungsentwurf keine ausdrückliche Rolle gespielt habe. Diese Kritik gäbe es zwar, doch vermutlich wollte der Gesetzgeber die weitere Entwicklung in anderen Ländern abwarten, bevor es eine „große“ Lösung zu elektronischen Wertpapieren gäbe.
Weitere Nachfragen behandelten den Anlegerschutz, die Nutzung der Blockchaintechnologie für Register generell, den beschränkten Anwendungsbereich des Referentenentwurfes, der Aktien ausschließt und der Frage nach der Verantwortlichkeit für solche Krypto-Token.
Über das Interdisziplinäre Institut für Automatisierte Systeme e.V. (RifaS)
Das Institut wurde im Herbst 2017 gegründet und steht für eine interdisziplinäre, nationale und internationale Forschung in verschiedenen Bereichen automatisierter Systeme. Die Forschungsbereiche lassen sich in Verkehr und Mobilität, Produktion und Wirtschaft sowie Medizin unterteilen. Das Institut bringt sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker zusammen und ist nicht nur in der Forschung aktiv, sondern auch in der Lehre.
Informationen zu aktuellen Veranstaltungen finden sich stets auf www.rifas.de.