Die Veranstaltungsreihe „Hannoveraner Forum Unternehmensrecht“ wird von den Unternehmerverbänden Niedersachsen e.V. (UVN) und dem Lehrstuhl für Zivilrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover (Prof. Dr. Petra Buck-Heeb) bzw. der dortigen Forschungsstelle für Bank- und Kapitalmarktrecht sowie Kapitalmarktstrafrecht ausgerichtet. Sie bietet eine Möglichkeit zum Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis über aktuelle Themen und gibt zudem die Gelegenheit eines Zusammentreffens zwischen den Studierenden des Schwerpunktbereichs „Unternehmensrecht“ der Juristischen Fakultät und Rechtsabteilungsleitern.
Die sechste Vortragsveranstaltung in diesem Format fand am 16. April 2024 in den Räumlichkeiten der IHK Hannover statt. Nach der Begrüßung durch Lena Donner (Abteilungsleiterin Umwelt- und Wirtschaftspolitik sowie Rechtsabteilungsleiterin, UVN) folgte eine Begrüßung durch Prof. Dr. Petra Buck-Heeb sowie durch Herrn Bernd Johannknecht (Leiter der Abteilung Recht und Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK). Anschließend folgten zwei Vorträge zum diesjährigen Thema „ESG: Ermessen und Haftung der Geschäftsleitung“ sowie eine daran anschließende Diskussion.
Zunächst beleuchtete PD Dr. Andreas Dieckmann (Universität Potsdam) das Thema aus akademischer Perspektive. Er hob hervor, dass ESG-Fragen (Environment, Social, Governance) zunehmend für jedes Unternehmen, von der großen AG bis zur kleinsten GmbH, eine signifikante Rolle im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidungen spielen. Vorstand und Geschäftsführung stehen vor der Herausforderung, ESG-Kriterien angemessen mit dem finanziellen Unternehmensinteresse in Einklang zu bringen. Andernfalls drohe ihnen eine Haftung gegenüber ihren Gesellschaften. Entscheidend sei dabei die Differenzierung zwischen ESG-Risiken und ESG-Faktoren. ESG-Risiken (z.B. Extremwetterereignisse) wirken auf das Unternehmen finanziell nachteilig ein (z.B. Produktionsausfälle), sodass deren Abwehr im finanziellen Unternehmensinteresse stehe.
Bei ESG-Faktoren gehe es jedoch umgekehrt darum, die nachteiligen Auswirkungen des eigenen Unternehmens – ggfls. auch auf Kosten der eigenen Rendite – auf ESG-Aspekte zu verringern (z.B. durch Minimierung von CO2-Emissionen). Hier stelle sich mit besonderer Vehemenz die Frage, ob – und wenn ja, wie – die Geschäftsleitung befugt oder ggf. sogar verpflichtet sein kann, ESG-konform zu entscheiden. Abschließend ging der Referent auf die Problematik ein, dass auch in Deutschland vermehrt institutionelle Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater durch ihre Anlagepolitik sowie aktivistische Aktionäre durch öffentliche Kampagnen (z.B. über soziale Medien oder die Tagespresse) versuchen, Druck auf die Geschäftsleitung auszuüben, ihre Geschäftsmodelle ESG-konform umzustellen.
Im Anschluss daran referierte Herr Rechtsanwalt Dr. Reinhold Kopp (Heussen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH) über seine Erfahrungen mit dem Thema aus der Beratungspraxis. Dabei legte er den Schwerpunkt auf das Compliance Management. Zunächst befasste er sich mit dem Aspekt der Transparenz auf der einen Seite und dem Greenwashing bzw. irreführender Werbung auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang ging er auch darauf ein, dass die Folgen des aktuellen EGMR-Urteils von 2024 zum Klimaschutz als individuelles Menschenrecht gegen die Schweiz noch gar nicht abzusehen seien.
Festzuhalten sei, dass ein Geschäftsleiter, der künftig Ermessensfehler vermeiden möchte, sich an den wesentlich umfangreicheren Regelungen für den Finanzdienstleistungssektor orientieren sollte (z.B. EU-Transparent-VO (SFDR) und EU-Klima-Benchmark-VO). Die Erfahrung lehre, dass diese Standards nach und nach in die Realwirtschaft migrieren. Eingegangen wurde u.a. auch auf den Begriff des Unternehmensinteresses. Dieses drücke sich praxistauglich in der Faustformel aus: Wenn Maßnahmen der Nachhaltigkeit die Rendite zumindest langfristig stützten, dann sei das im besten Sinne „wertorientierte Unternehmensführung“. Zudem gab Dr. Kopp zu bedenken, dass eine Haftung der Geschäftsleitung nicht ausgeschlossen werde, wenn diese den Wünschen des Aufsichtsrats, des Alleinaktionärs oder gar lautstarker Gruppen in der Hauptversammlung folgt. Dieser Kern von Geschäftsleitungsbefugnissen sei unveräußerlich.